Folge 13

Von Barockkrippen und Brettlesheiligen - Krippenkultur in Oberschwaben-Allgäu

Bürgermeister Kevin Wiest im Interview mit PODKÄSCHTLE-Moderator Thomas Strobel im Krippenmuseum Oberstadion

Der podcast zum mitlesen

Nachfolgend finden Sie das Transkript der 13. Folge von unserem PODKÄSCHTLE.

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TRANSKRIPT FOLGE 13

Die Vorweihnachtszeit ist bei uns in Oberschwaben-Allgäu eine ganz besondere Zeit. Denn genau zu dieser Zeit versteht man gut, warum wir für Tradition und Brauchtum stehen. Denn in den zahlreichen Krippenausstellungen spiegelt sich wider, warum der Mix aus Geschichte und Moderne bei uns so einzigartig ist. Noch mehr: entlang der Oberschwäbischen Barockstraße kann man in Museen, Kirchen oder Klöstern, die Vielfalt der Krippen erleben. Mehr zur Geschichte der kleinen Wunderwelten gibt es jetzt.

Willkommen zu einer Ausgabe, die von kleinen Figuren, viel Stroh und heiligen Königen vor einem kleinen Bett in einem Stall geprägt ist. Die Krippe gehört zur Vorweihnachtszeit in unserer Region und davon gibt es nicht nur zahlreiche bei uns, sondern es steckt eine ganze Kunst- und Kulturgeschichte darin, die es zu entdecken gilt. Ein Adventsausflug ist also ein absolutes MUSS nach Oberschwaben-Allgäu. Bürgermeister Kevin Wiest ist besonders stolz auf das einmalige Krippenmuseum in Oberstadion. Hier kann man außergewöhnliche Krippenkultur erleben und das hat auch einen Grund, wie unser Moderator Thomas Strobel gleich erfährt. Aber erstmal gibt es noch eine andere Frage, die er beantwortet wissen will:

Thomas Strobel:

Bis heute ist es Tradition in der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig mit der ganzen Familie die Krippe in einer der vielen Kirchen und Klöstern hier bei uns in der Region zu besuchen. Was hat es denn mit der bis heute sehr aktiven Krippenkultur hier bei uns in der Region auf sich?

Kevin Wiest:

Also, ich glaube, um es wirklich zu verstehen, muss ein bisschen früher einsteigen. Der Erste, der die Krippen damals bzw. auch das Krippenspiel ins Leben gerufen hat, war Franz von Assisi. Und das war schon 1223. Dmals war es ja so, dass Menschen weder lesen noch schreiben konnten. Er wollte damals als Erster den Menschen die Geburt Christi nahebringen und so ging das Ganze dann los. Im 16. Jahrhundert begann es dann bei der katholischen Kirche, dass die Geburt Christi dargestellt wurde. Damals waren natürlich die Kirchen und die Klöster und auch Könige oder Fürsten die, die Geld hatten und sie konnten natürlich diese Krippen dann in Auftrag geben. Diese wurden dann in den Kirchen ausgestellt und dann kam Maria Theresia, die Kaiserin, sie hatte es bei der Säkularisierung verboten und dann wollte man ja nicht, dass die Figuren kaputt gingen und so haben die Menschen die Figuren mit nach Hause genommen. So kann man sich das vielleicht vorstellen, so hat sich das entwickelt; die Figuren standen dann bei dem einen oder anderen herum und dann wollte man das natürlich ausweiten. Die Leute sagten „Mensch, Du hast eine schöne Krippe, ich möchte auch eine haben.“ Und so ging das Ganze dann los. Gerade im sehr katholischen Oberschwaben war das dann natürlich eine Möglichkeit der katholischen Kirche auch in den Reformationszeiten den Glauben den Menschen näher zu bringen. Wir haben auch heute noch hier in der Region viele Kirchen, viele Klöster und so kommt es dann natürlich hier in dieser Region, dass die Krippen schon noch sehr weit verbreitet sind und auch durch die tollen Künstler, die wir hier in der Region haben.

Thomas Strobel:

Jetzt wird einem hier in Oberstadion die Krippenkultur ja auf eine ganz besondere Art und Weise vor Augen geführt und nähergebracht. Ihr habt hier in Oberstadion sogar eigenes Krippenmuseum. Wie kam es denn dazu?

Kevin Wiest:

Der damalige Pfarrer Kreidler ist 2003 auf den damaligen Bürgermeister zugegangen und hat gesagt: „Wir haben hier eine sehr alte Pfarrscheuer aus dem 16. Jahrhundert. Wir haben gerade jetzt keine Möglichkeit sie zu sanieren, hat vielleicht die Gemeinde die Möglichkeit oder eine Idee, was man mit dem Gebäude machen kann, bevor es dann zusammenfällt.“ Und 2005 war der damalige Bürgermeister dann in Bozen und ist dann dort auf die Idee gekommen - während er Krippen angeschaut hat - man könnte doch aus so einem Gebäude ein Krippenmuseum machen. Dann hat man sich das Ganze überlegt und 2007/2008 wurde es dann umgesetzt und so wurde aus einer Frage eine Idee und dann ein Krippenmuseum.

Thomas Strobel:

Und was kann man jetzt bei euch in Oberstadion im Krippenmuseum alles entdecken?

Kevin Wiest:

Wir haben in Oberstadion ein Krippenmuseum mit 70 Großkrippen von weltbekannten Künstlern unter anderem von Claudio Mattei oder Antonio Pigozzi oder der Gebrüder Haseidl aus Oberammergau. Wir haben 70 Krippen, jetzt gerade ganz aktuell mit der neuen Kooperation mit dem Bistum Regensburg eine Sonderausstellung und wir haben noch eine zweite Sonderausstellung dieses Jahr „Das Kind an der Krippe“ , also das Jesus Kindchen an der Krippe. Und somit kann man bei uns knappe 200 Krippen anschauen in jeder Form, Größe, Farbe – es ist etwas ganz Besonderes.

Ich werde immer wieder gefragt, wie ich unsere Krippenmuseum im Vergleich sehe. Und ich muss sagen, ich habe mehrere Krippenmuseen angeschaut, in Deutschland und in Italien und in Österreich, und ich muss wirklich sagen - und das soll jetzt auch nicht voreingenommen sein, aber wir haben wahrscheinlich mit das beeindruckendste, größte und schönste Krippenmuseum weltweit. Mir ist noch kein Größeres und auch kein Schöneres eingefallen und da muss ich sagen, hat man damals, gerade mein Vorgänger, als er das Krippenmuseum gebaut mit dem Architekten, wirklich Großartiges geleistet. Und immer, wenn ich mit Menschen sprechen und sage: „Du, wir haben Krippenmuseum.“ Dann sehe ich in den Augen so erst dieses „[Stöhnen] Krippenmuseum…mhhh?“. Dann stellt man sich da vielleicht darunter vor so zwei bis drei Krippen in irgendeinem kleinen Raum. Aber wir haben wirklich ein wahnsinnig tolles Gebäude, wo schon das Gebäude sehenswert ist. Und die Darstellung der Krippen ist doch etwas ganz arg besonderes und darum haben wir auf unserer Homepage schon ein kleines Video, wo die Menschen schon mal im Vorfeld einen ganz kleinen Eindruck kriegen, wie groß das Ganze eigentlich ist. Und was ich jetzt immer wieder feststelle, ist, dass es tatsächlich für Kinder, für Erwachsene, aber auch für Senioren eine Besondere, na ja ein besonderes Flair gibt, wenn man reinkommt und jeder kann etwas anderes mitnehmen.

Thomas Strobel:

Wo kommen denn die Krippen jetzt bei euch im Museum hier beziehungsweise wie kommt ihr als Museum zu den ganzen Krippen?

Kevin Wiest:

Man hat damals als man das Museum gebaut hat sich überlegt; wo gibt es Krippen und man hat dann mal geschaut, ob es irgendwie historische Krippen gibt. Man hat überlegt, was kann man machen und ist dann aber irgendwann hin gegangen und hat gesagt; wir lassen Krippen für´s Museum machen von gerade ganz aktuell weltbekannten Künstlern. Wir haben also keine historischen Krippen, sondern wir haben wirklich von heute weltbekannten Künstler Krippen, wie zum Beispiel Claudio Martelli, Antonio Pigozzi aus Italien oder gerade die Gebrüder Haseidl aus Oberammergau, die speziell für uns Krippen gemacht haben. Ganz besonders stolz bin ich aber darauf, dass wir in Oberstadion selbst eine Krippenbaumeisterin haben und auch diese hat jetzt eine Krippe bei uns ausgestellt. Letztes, nein vorletztes Jahr, habe ich mir dann überlegt; „Mensch, man muss ja mal ein bisschen mit der Zeit gehen.“ Und so habe ich jetzt von einer Firma in Ehingen, die sehr viel mit Beton macht, eine Beton-Krippe machen lassen. Das ist eine sehr puristische Krippe. Es gibt da kein richtig und kein falsch. Und Kunst ist, was einem gefällt und darum haben wir wirklich für alle Bereiche Krippen, aber eben frisch anfertigen lassen fürs Museum. Teilweise mit alten Figuren, also wenn wir jetzt nachher das Krippenmuseum anschauen, wir haben Figuren, die sind schon mehrere 100 Jahre alt aus Wachs und vielleicht sogar ein Meter hoch - neue Krippen mit alten Figuren. Ich glaube, so kann man das ganz gut umschreiben

Thoma Strobel:

Gebt ihr dann Themen vor oder den Maßstab? Oder lasst ihr den Künstlern freien Lauf? Wie muss ich mir das vorstellen?

Kevin Wiest:

Ja, den Künstlern wird freien Lauf gelassen. Man sagt z. B. wir möchten für diese Vitrine oder für diese Nische eine Krippe, dann kommen die Krippenkünstler und schauen sich das erstmal an. Wobei es natürlich auch schon so war, dass wir unsere Vitrinen nach den Krippen angefertigt haben, wenn es dann doch etwas zu groß oder zu klein war. Und ich muss sagen es ist, meiner Meinung nach, ganz gut gelungen.

Jürgen Hohl sammelt nicht nur Messgewänder, sondern auch Krippen. Er restauriert sie, entdeckt neue Schätze und gilt, weit über die Grenzen der Region hinaus als Fasnets- und Krippenexperte aus Weingarten. Ein wandelndes Geschichtsbuch erwartet Thomas Strobel und sicherlich kann Jürgen Hohl – für den das Thema eine Herzensangelegenheit ist. Übrigens, die Menschen in unseren Interviews sind ja immer echt-oberschwäbische Originale mit individuellen Dialekten und Redensarten, wer also gleich nicht alles sofort versteht, der findet eine Transkription zu diesem Podcast auch auf www.oberschwaben-tourismus.de/podcast – und jetzt lauschen wir dem Gespräch, das die beiden Herren im Museum in Weingarten führen und lassen uns zu Anfang gleich mal erklären, woher das Wort „Krippe“ überhaupt kommt:

Jürgen Hohl:

Das Wort „Krippe“ kommt von „Krippa“ (ahd.) und des heißt „flechten“ und damit ist ein Korb gemeint und die erste Krippenkultur kommt eigentlich in den Altargemälden des 8. bis 10. Jahrhunderts vor - je nachdem - und dann hat sich das weiterentwickelt, indem sie frei tragen wurden und eine dieser Krippen aus dem 15. Jahrhundert ist noch in Augsburg in einem Seitenaltar ausgestellt. Bei uns in Ravensburg gibt es eine der ältesten Krippen, die aus dem Kloster Weißenau stammt. Diese ist oberhalb von Ravensburg in Sankt Christina ausgestellt.

Thomas Strobel:

Jetzt sagst du ja auch, dass die Krippen „Werbematerial“ für Frauenklöster und die Kirche im Allgemeinen waren. Wie kann man das verstehen?

Jürgen Hohl:

Also zuerst muss man sagen, es ist allgemein anerkannt, dass der Heilige Franziskus von Assisi in der Höhle in Greccio mit seinen Mitbrüdern zum ersten Mal eine Krippe mit lebenden Personen dargestellt hat. Da kommen zum Beispiel der Ochs und der Esel vor, die im Evangelium gar nicht erwähnt werden. Sie stellen Psalmen dar, in denen Ochs und Esel dargestellt werden, in denen die Tiere für bestimmte menschliche Tätigkeiten und Eigenschaften stehen. Und man sagt auch heute noch „Der ist dumm wie ein Esel“.

Die Frauenklöster, die klausuriert waren, also Benediktinerinnen, Zisterzienserinnen und Ursulinen – auch zum Teil – die haben natürlich auch Messgewänder in ihren Werkstätten hergestellt und da waren Stoffreste übrig. Wachs hat man gehabt und dann haben sie modelliert und haben zum Schluss in Gipsformen abgegossen und so begann ganz langsam ein richtiger Run auf Krippenfiguren, von den Klöstern hergestellt.

Thomas Strobel:

So, ich erinnere mich gerne an meine eigene Kindheit, mache das heute auch noch mit meinen eigenen Kindern - an Weihnachten gehen wir in die Kirche und schauen gemeinsam die Krippe an. Warum ist gerade in Oberschwaben das „Krippele anschauen“ bis heute so beliebt?

Weil das aus der Barockzeit kommt! Wir haben hier ja eine wahnsinnig Große Anzahl an Klöstern. Wir haben allein in der Gegend zwischen Ulm und Bodensee fünf Zisterzienserinnen-Klöster und Zisterzienserinnen sind ja regulierte Benediktinerinnen. Diese Klöster haben alle unwahrscheinlich interessante, textile Objekte hergestellt und das hat man natürlich angeguckt und dieses Angucken ist bis heute geblieben.

Thomas Strobel:

Jürgen, jetzt hast du schon ganz viel gesagt über Krippen aus dem Barock. Was hat denn barocke Krippe ausgemacht? Was unterscheidet eine barocke Krippe von der heutigen modernen Krippe? Woran sieht man den Unterschied?

Jürgen Hohl:

Also die Barock-Krippe geht ja auf die Natürlichkeit des Gesichtes aus. Wenn man die Figuren ansieht, das sind Menschen wie du und ich. Und die sind bekleidet mit Stoffen, die die Leute kannten, und vor allem im Barock war das Prunkvolle ganz große Mode. Z. B. die Heiligen Drei Könige repräsentieren mit ihrer Kleidung unterschiedliche Staatsformen.

Thomas Strobel:

Und woran erkennt man jetzt den Unterschied zwischen der barocken Krippe und der modernen Krippe aus der heutigen Zeit?

Jürgen Hohl:

In dem die moderne Krippe heute keinen Wert mehr auf Prunk legt, sondern die Figuren ganz einfach kleidet. Weil man sagt, na ja, das waren einfache Leute. Warum sind die Barock-Krippen so hochkarätig? Aus dem einen Grund; das ist eine Form von Verehrung.

Thomas Strobel:

Wo hier bei uns in der Region kann man denn noch besondere Krippe sehen - außer natürlich hier bei dir im Museum in Weingarten?

Jürgen Hohl:

Da muss man in erster Linie Gutenzell-Hürbel erwähnen, dann noch die Krippe in Bad Buchau. Alle diese Krippen haben interessante Geschichten. Die Krippe in Bad Buchau hat man im Dritten Reich versteckt; da war Weihnachten und dann hat man das schnell verschwinden lassen und wo man es restauriert hat, hat man diese Krippe gefunden. Und die durfte ich restaurieren, das war auch eine Sache, wo ich viel dazu gelernt habe.

Thomas Strobel:

Jürgen, jetzt kennen wir ja Kippen, mit Figuren die man irigenwo hin stellt und so, es gibt aber auch die „Brettlesheilige“, was ist denn das?

Wer kein Geld hatte, hat auf ein Brett illusionistisch drauf malen lassen. Ich ich bin auf die Sache aufmerksam geworden - ich war ja 23 Jahre in Eggmannsried bei Bad Wurzach im dortigen barocken Pfarrhof – wo ich dann in der Pfarrkirche feststellte, dass dort lauter illusionistisch bemalte Bretter rings herum in der Kirche aufgehängt waren, und zwar mit den Abbildungen der Apostel und in der Mitte war Christus dargestellt. Und da bin ich auf die „Brettlesheilige“ gekommen. Wer kein Geld hatte, hat sich die Krippenszenen so darstellen lassen.

Thomas Strobel:

Jürgen, wir könnte noch stundenlang weiterreden, vielen vielen Dank.

Jürgen Hohl:

Gern geschehen, es war nett mit dir zu sprechen.

Ob sanft beleuchtete Zwiebeltürme an der Oberschwäbischen Barockstraße, besondere Weihnachtsmärkte fernab des Trubels, wohlig-warme Thermalquellen oder außergewöhnliche Moorlandschaften   - wir laden Sie zu dieser besonderen Jahreszeit ein intensiv in unsere Region einzutauchen. Oberschwaben-Allgäu hat soooo viele Geschichten zu entdecken, einige davon gibt es auch in unserem hausgemachten PODKÄSCHTLE. Alle Termine und Orte unserer besonderen Krippen-Ausstellungen und noch mehr Infos und Tipps zu uns finden Sie auch auf oberschwaben-tourismus.de