Transkript für hörgeschädigte
Folge 20:
Von Freiheit und Gerechtigkeit -
500 Jahre Bauernkrieg
Off-Stimme (Intro):
Vor fünfhundert Jahren stand Oberschwaben Kopf. Bauern forderten Freiheit und Gerechtigkeit – und riskierten ihr Leben. Heute, im Jubiläumsjahr 2025, bereitet sich die Region auf die große Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“ vor. Moderator Thomas Strobel besucht Michael Tassilo Wild im alten Stadtarchiv in Bad Waldsee. Zwischen Regalen voller Pergamente und Chroniken erzählen uns die Dokumente nicht nur von Aufruhr, sondern auch von Hoffnung und Mut. Bis heute ist der Bauernkrieg weit mehr als ein verstaubtes Kapitel. Treten wir ein in eine Zeit, die uns mehr über Freiheit, Zusammenhalt und die Lehren aus der Geschichte erzählt.
Gespräch mit Stadtarchivar Michael Tassilo Wild
Moderator:
Michael, als Stadtarchivar von Bad Waldsee und Bad Wurzach bist du ein Hüter der Vergangenheit.
Doch du sprichst oft von Leidenschaft – und von Leid – wenn es um den Bauernkrieg geht.
Was berührt dich heute noch an diesem fünfhundert Jahre alten Ereignis?
Wild:
Der große deutsche Bauernkrieg, wie man ihn auch nennt, ist ein einzigartiges Ereignis.
Er zeigt die tiefen sozialen Verwerfungen der Welt vor fünfhundert Jahren – Verwerfungen, die teilweise bis heute nachwirken. In Frankreich gab es die Französische Revolution mit dem Versuch, Bürgerrechte, Gleichheit und Freiheit durchzusetzen – auch wenn sie letztlich an sich selbst scheiterte. Ähnliche Ansätze gab es auch im Bauernkrieg in Deutschland – oder besser gesagt, in dem, was einmal Deutschland werden sollte, denn Deutschland als Staat existierte damals noch nicht. Der Bauernkrieg besiegelte das Schicksal der Bauern, und eine echte freiheitlich-demokratische Bewegung entstand erst wieder im 19. Jahrhundert.
Moderator:
Erzähl unseren Zuhörerinnen und Zuhörern: Was genau war der Bauernkrieg?
Und warum kam es vor fünfhundert Jahren zu diesen Unruhen?
Wild:
Es gab immer wieder Bauernaufstände, bereits im 13. Jahrhundert in England und an anderen Orten. Doch wenn wir vom „Bauernkrieg“ sprechen, meinen wir den von 1525 – den größten und bedeutendsten. Wir befinden uns am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit – einer Epoche des Wandels. Es gibt kein einzelnes Datum, an dem das Mittelalter endet, sondern eine Kette großer Veränderungen in kurzer Zeit: die Entdeckung Amerikas, die Erfindung des Buchdrucks, den Beginn der Reformation. Diese Umwälzungen führten zu Spannungen, auf die die Gesellschaft nicht schnell genug reagierte. Und diese Spannungen entluden sich – unter anderem im Bauernkrieg.
Moderator:
Was genau brach da auf?
Wild:
Gesellschaftliche Konflikte, die schon lange schwelten.
Viele bestehende Regeln entsprachen nicht mehr dem Zeitgeist.
Sie waren festgeschrieben oder mündlich überliefert, aber sie passten nicht mehr zur Lebensrealität der Menschen. Dazu kam die Reformation, die Wirtschaft entwickelte sich rasant weiter – doch die politische Ordnung blieb unverändert. Menschen merkten, dass „Recht und Gesetz“ nicht mehr mit ihrem Alltag übereinstimmten. Da es nicht gelang, diese Spannungen auszugleichen, eskalierten sie – und es kam zum Krieg.
Moderator:
Jetzt reden wir vom Bauernkrieg. Kann man sagen, was genau ein Bauernkrieg ist?
Wild:
Zuerst müssen wir uns fragen: Wer waren die Bauern damals überhaupt?
Die sozialistische Geschichtsschreibung, beispielsweise in der DDR, hat den Bauernkrieg oft als Kampf der armen Leute dargestellt – Bauern in Lumpen mit Mistgabeln gegen die Obrigkeit.
Doch das stimmt so nicht. Viele der Aufständischen waren wohlhabend, führten große Höfe und kämpften um ihren Besitzstand. Auch Niederadelige schlossen sich an – sie brachten militärische Erfahrung mit. Das war kein wilder Mob, sondern eine straff organisierte Bewegung. Genau deshalb war sie für das damalige Establishment so gefährlich. Unterstützer gab es bis hinauf zu Herzog Ulrich von Württemberg.
Moderator:
Und gegen wen kämpften die Bauern?
Wild:
Im Endeffekt gegen die etablierte Obrigkeit.
Hier in der Region war das konkret der Schwäbische Bund.
Moderator:
Michael, was war für dich der Punkt, an dem du gemerkt hast, dass der Bauernkrieg für uns alle immer noch wichtig ist?
Wild:
Der Bauernkrieg ist ein Ereignis, das bis heute im kollektiven Gedächtnis geblieben ist.
Er war eines der ersten großen Medienereignisse. Es wurde nicht nur mit Schwertern, sondern auch mit Flugblättern gekämpft. Die Druckerpresse war ein entscheidendes Werkzeug für Propaganda und Mobilisierung. Der Bauernkrieg war also nicht nur ein militärischer Konflikt, sondern auch ein Kommunikationsereignis – das macht ihn so spannend.
Moderator:
Konnten damals überhaupt schon so viele Menschen lesen?
Wild:
Im späten Mittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit nahm die Lesefähigkeit zu, besonders im Bürgertum. Aber oft war es gar nicht nötig, dass alle lesen konnten. Flugblätter wurden häufig in der Öffentlichkeit vorgelesen – von reformatorisch gesinnten Pfarrern oder anderen Gebildeten.
So konnte eine einzige Flugschrift viele Menschen erreichen.
Moderator:
Ja, und es war ja damals auch nicht so wie heute, wo ich innerhalb einer Stunde siebzehn Posts zu einem Thema sehe. Da kam doch nicht jede Woche ein neues Flugblatt raus, oder?
Wild:
Doch, tatsächlich schon. In diesen Jahren erschienen hunderte verschiedene Flugblätter. Es entstand eine richtige Medienlandschaft. Das wurde später auch für die Reformation enorm wichtig – ohne diese Druckerzeugnisse hätte sie wohl kaum so schnell Fuß gefasst.
Moderator:
Du hast heute etwas ganz Besonderes mitgebracht – ein Originaldokument vom Bauernjörg. Zum einen möchte ich erst einmal wissen: Wer war dieser Bauernjörg? Und warum ist das Dokument, das du dabei hast, so bedeutend?
Wild:
Der Bauernjörg war ein Mitglied des lokalen Adelsgeschlechts der Waldburger. Er wurde hier in Waldsee geboren und ist hier auch gestorben. Für seine Mutter wurde in Wurzach als Altersruhesitz das Kloster Maria Rosengarten errichtet – heute befindet sich dort auch das Stadtarchiv. Der Bauernjörg stammte aus einer tief verwurzelten, bedeutenden Adelsfamilie in Oberschwaben, auch wenn sie zu seiner Zeit noch keinen besonders hohen Rang hatte.
Die Bedeutung des Bauernjörgs liegt eindeutig in seiner Person. Er war ein äußerst fähiger Mann – jemand, auf den man zurückgreifen konnte, wenn Probleme gelöst werden mussten. Heute würde man ihn wohl als Troubleshooter bezeichnen. Wenn ein Herzog oder Kaiser jemanden brauchte, um eine schwierige Aufgabe zu übernehmen, war die Auswahl begrenzt – der Kreis der Adligen, auf den sie sich stützen konnten, war klein. Und innerhalb dieses Kreises gab es fähige und weniger fähige Leute. Der Bauernjörg gehörte definitiv zu den fähigen.
Zunächst arbeitete er für Herzog Ulrich von Württemberg – gegen den er später sogar in den Krieg zog. Dann wurde er vom Bayerischen Herzog abgeworben. Schließlich diente er als Feldherr, genauer gesagt als Feldhauptmann des Schwäbischen Bundes – einer der beiden Parteien im Bauernkrieg. Doch seine Karriere endete nicht mit dem Krieg. Er war später als Diplomat in Spanien, in den Niederlanden und in Ungarn unterwegs. Er hatte viele Funktionen und war hoch angesehen. Besonders bemerkenswert: Er verfasste einmal einen Vorschlag für einen Religionsfrieden. Hätte man diesen angenommen, wäre es vielleicht nie zum Dreißigjährigen Krieg gekommen. Er war also ein Mann mit vielen Talenten.
Moderator:
Also, der Bauernjörg – eine wirklich interessante Persönlichkeit.
Wie kam er eigentlich zu diesem Namen?
Wie hieß er wirklich, und was führte zu diesem Beinamen?
Wild:
Der richtige Name des Bauernjörg war Georg III. Truchsess von Waldburg. In seiner eigenen Unterschrift nennt er sich „Jörg“ – das ist also zeitgenössisch belegt. Die Bezeichnung „Bauernjörg“ entstand als direkte Folge des Bauernkriegs. Durch seine militärischen Erfolge gegen die aufständischen Bauern erhielt er diesen Beinamen – und er setzte sich einfach durch.
Moderator:
Michael, du hast heute ein Dokument dabei, das auf den Bauernjörg verweist, also direkt mit ihm in Verbindung steht.
Erzähl uns doch mal: Was ist das für ein Dokument? Und was macht es so besonders?
Wild:
Eigentlich handelt es sich um zwei Dokumente. Das erste, größere, ist der sogenannte „böse Brief“.
Er stammt nicht aus der Zeit des Bauernjörgs selbst, sondern tauchte bereits zur Zeit seines Großvaters auf. Es handelt sich dabei um einen Friedensvertrag, der die Stadt zu bestimmten Zugeständnissen verpflichtete.
Doch dieses Dokument spielte später noch einmal eine bedeutende Rolle in der Geschichte.
Jahre nach dem Bauernkrieg wurde es mit einem Beibrief an die Stadt Waldsee zurückgegeben.
Der Grund: Der Bauernjörg wollte sich bedanken.
Als er aus dem Feldzug zurückkam, rechnete er damit, die Leichen seiner Familie bestatten zu müssen. Doch stattdessen waren seine Frau und seine Kinder wohlauf – die Stadt hatte sie rechtzeitig aus dem Schloss geholt und innerhalb der Stadtmauern in Sicherheit gebracht. Zum Dank gab er der Stadt diesen „bösen Brief“ zurück und verzichtete auf die damit verbundenen Rechte. Er schreibt ausdrücklich, dass dies eine Geste des Dankes für das loyale Verhalten der Stadt sei.
Moderator:
Weiß man, warum die Stadt diese Entscheidung getroffen hat?
Wild:
Ja, das war eine eindeutig politische Entscheidung. Die Stadt befand sich damals in einer Zwangslage – sie musste sich zwischen den aufständischen Bauern und dem Schwäbischen Bund entscheiden. Letztlich stellte sie sich auf die Seite des Bundes.
Moderator:
Michael, stell dir vor, ich bin hier in der Region und habe nur einen Tag Zeit.
Welche drei Orte in Oberschwaben sollte ich besuchen, um den Bauernkrieg hautnah zu erleben?
Wild:
Diese Frage ist schwer zu beantworten – fast so, als müsste man eine Mutter fragen, welches ihr liebstes Kind ist. Es gibt so viele bedeutende Orte, an denen man den Bauernkrieg noch heute nachvollziehen kann.
Man könnte beispielsweise auf den Spuren der Maurischen Chronik wandeln, in der wir zahlreiche Bildquellen finden, die uns diese Zeit lebendig machen. Dann gibt es natürlich Bad Waldsee und Bad Wurzach, die beide eine zentrale Rolle spielten. In Wurzach fand die Schlacht am Leprosenberg statt – ein entscheidender Sieg des Bauernjörgs. In Bad Waldsee wiederum gab es die Schlacht bei Geißbeuren, direkt an der heutigen B30 gelegen.
Aber auch andere Orte sind bedeutsam: Memmingen mit den „12 Artikeln“, Weingarten mit dem Weingartener Vertrag – es gibt einfach zu viele Schauplätze, um sich auf drei zu beschränken. Ich empfehle daher einen ausgedehnten Aufenthalt, statt nur einer kurzen Besichtigungstour.
Moderator:
Gibt es dieses Jahr zum Jubiläum besondere Veranstaltungen, bei denen man mehr über den Bauernkrieg erfahren kann?
Wild:
Ja, absolut!
Eine der wichtigsten Veranstaltungen ist die große Landesausstellung in Bad Schussenried, die ich jedem nur empfehlen kann. Zudem gibt es weitere Ausstellungen, zum Beispiel in Stuttgart im Landesarchiv oder eine kleinere Sonderausstellung hier in Bad Waldsee im Historischen Rathaus.
Moderator:
Gibt es noch erhaltene Originalschauplätze – etwa Klosteranlagen oder Dorfplätze – an denen man den Bauernkrieg heute noch spüren kann?
Wild:
Ja, ein besonders eindrucksvoller Ort ist das Kloster Weißenau. Das Kloster wurde während des Bauernkriegs von Aufständischen besetzt und geplündert. Und das Spannende: Es gibt eine Bildquelle dazu! Der damalige Abt ließ die Ereignisse zeichnen – eine Darstellung, die fast wie ein moderner Comic wirkt, obwohl sie 500 Jahre alt ist. An solchen Orten kann man die Geschichte wirklich nachverfolgen.
Moderator:
Wir haben ja schon über die Originaldokumente gesprochen.
Was wird hier in Bad Waldsee anlässlich des Jubiläums noch zu sehen sein?
Und gibt es weitere Städte, die sich daran beteiligen?
Könnte man vielleicht sogar eine richtige Bauernkriegs-Route durch die Region machen?
Wild:
Ja, der Bauernkrieg war ein riesiges historisches Ereignis – viele Städte in der Region beteiligen sich mit Ausstellungen und Begleitprogrammen. Es gibt eine offizielle Website, auf der man sich einen Überblick über alle Veranstaltungen verschaffen kann.
Eine Rundreise lohnt sich auf jeden Fall! Man könnte zum Beispiel in Bad Waldsee übernachten, sich dann die Landesausstellung in Bad Schussenried ansehen und anschließend noch weitere historische Orte besuchen. Und danach? Einfach mal in Bad Wurzach ins Moorbad steigen – Erholung nach so viel Geschichte!
Moderator:
Was kann man aus der Geschichte des Bauernkriegs für unser heutiges Zusammenleben lernen?
Wild:
Eine wichtige Lehre aus dem Bauernkrieg ist, dass politische Spannungen eskalieren können, wenn sie nicht rechtzeitig moderiert werden. Umso wichtiger ist es, Druck aus solchen Konflikten zu nehmen und Mechanismen zu schaffen, die gegensätzliche Kräfte ausgleichen. Das ist eine große Errungenschaft unserer modernen Demokratie.
Heute werden politische Auseinandersetzungen nicht mehr auf offener Straße ausgetragen. Stattdessen gibt es parlamentarische Prozesse, den Föderalismus, Bürgerentscheide – demokratische Mittel, um unterschiedliche Interessen auszugleichen. Wir müssen nicht mehr zur Waffe greifen, um unsere Rechte durchzusetzen. Das zeigt, wie weit wir uns weiterentwickelt haben.
Moderator:
Zum Glück. Und Michael, worin liegt für dich persönlich die größte Faszination, wenn du morgens ins Archiv gehst und weißt, dass dort Schätze aus 500 Jahren lagern?
Wild:
Unser Archiv ist noch deutlich älter – wir haben hier Dokumente aus dem Hochmittelalter.
Das hat mich schon während meines Studiums fasziniert. Es gibt Unterlagen von Menschen, die seit 700 Jahren tot sind. Von ihnen ist nichts geblieben – außer den Quellen, die wir hier im Stadtarchiv bewahren. Wir kennen ihre Namen, sehen ihre Handschrift und erfahren, was sie uns mitteilen wollten. Das ist ein direkter Blick in die Vergangenheit.
Moderator:
Abschließend noch eine Frage, Michael:
Warum sollte niemand das 500-jährige Jubiläum des Bauernkriegs hier in der Region verpassen?
Wild:
Ganz einfach – weil bis zum nächsten runden Jubiläum nochmal 500 Jahre vergehen. Diese große Landesausstellung ist eine einmalige Gelegenheit, den Bauernkrieg genau hier, in Oberschwaben, zu erleben. Solche Ausstellungen sind nicht oft in der Region – das macht sie besonders. Wer sich für Geschichte interessiert, sollte diese Chance nutzen. Die Ausstellung wurde mit viel Energie und Liebe zum Detail vorbereitet. Was dort zu sehen sein wird, bekommt man vielleicht nie wieder zu Gesicht.
Moderator:
Superspannend, Michael. Vielen, vielen Dank!
Wild:
Aber gerne doch.
Off-Stimme
Vom Stadtarchiv Bad Waldsee blicken wir nun nach Stuttgart. Dort arbeitet Dr. Ingrid-Sybille Hoffmann vom Landesmuseum Württemberg an den Vorbereitungen zur Ausstellung „Uffrur“. Diese wird 2025 im Kloster Schussenried als Teilprojekt der großen Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“ gezeigt. Heute treffen wir sie im oberschwäbischen Museumsdorf Kürnbach – mit einem Dokument, das Geschichte schrieb: Ein Originaldruck der „12 Artikel“, der uns eine ganz neue Perspektive auf die Zeit des Bauernkriegs eröffnet. Hören wir jetzt, was uns dieses Dokument über die Gedanken, Ängste und Hoffnungen jener Zeit verraten kann.
Gespräch mit Dr. Ingrid-Sybille Hoffmann, Landesmuseum Württemberg
Moderator:
Ingrid, du bist Kuratorin für Kunst und Handwerk des Mittelalters am Landesmuseum Stuttgart und gerade mitten in den Vorbereitungen für die große Landesausstellung „Uffrur“ 2025 im Kloster Schussenried. Was fasziniert dich persönlich am Bauernkrieg, und warum hat dich dieses Thema nach Oberschwaben geführt?
Hoffmann:
Der Bauernkrieg fasziniert mich, weil er in eine unglaublich spannende Zeit fällt und eines der herausragenden Ereignisse der frühen Neuzeit ist – die Umbruchszeit um 1500. Vor über 500 Jahren veränderte sich das Leben der Menschen grundlegend: Der Buchdruck entwickelte sich und machte erstmals gedruckte Schriften für viele erschwinglich. Neue Handelswege wurden erschlossen, und dann gab es die großen religiösen Umwälzungen mit der Reformation. All das führte zu einem gesellschaftlichen Wandel. Speziell am Bauernkrieg fasziniert mich, dass so viele Menschen für ihre Rechte aufgestanden sind. Was hat sie dazu gebracht, diesen Schritt zu wagen – unter völlig anderen Bedingungen als heute? Wenn wir heute auf eine Demonstration gehen, setzen wir uns kaum einer Gefahr aus. Damals jedoch für seine Rechte einzutreten, war eine ganz andere Dimension.
Moderator:
Wir treffen uns heute hier im oberschwäbischen Museumsdorf Kürnbach. Wenn man sich hier umschaut, bekommt man einen guten Eindruck vom damaligen Leben der bäuerlichen Bevölkerung. Wie muss man sich den Alltag der Bauern um das Jahr 1525 vorstellen?
Hoffmann:
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil „den Bauern“ oder „die Bäuerin“ in dieser Form nicht gab. Die ländliche Bevölkerung war sozial stark differenziert. Wenn wir von Bauern sprechen, meinen wir in der Regel diejenigen, die einen eigenen Hof bewirtschafteten. Diese Menschen hatten meist eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit – sie litten in normalen Jahren nicht an Hunger, außer es gab Missernten oder andere Notlagen. Ihr Leben war zwar arbeitsreich, aber verhältnismäßig stabil. Doch es gab auch eine große Zahl von Landbewohnern, die nicht über eigenen Grundbesitz verfügten: Knechte, Mägde und Tagelöhner. Diese Menschen waren wirtschaftlich stark abhängig und lebten oft von der Hand in den Mund. Sie konnten von einem Jahr auf das andere in existentielle Not geraten.
Moderator:
Wir wollen heute über den Bauernkrieg sprechen, der sich 2025 zum 500. Mal jährt.
Welche Bedeutung hatte der Bauernkrieg im gesamten deutschsprachigen Raum, und welche Rolle spielte Oberschwaben in diesem Kontext?
Hoffmann:
Die ersten Unruhen begannen im Südschwarzwald – schon im Sommer und Herbst 1524.
Doch die Aufstände breiteten sich schnell aus, und besonders Oberschwaben wurde zu einem zentralen Schauplatz. Hier war der Baltringer Haufen eine der wichtigsten Gruppen der Aufständischen. Der Bauernkrieg entwickelte sich zu einer breiten Bewegung, die sich über den südwestdeutschen Raum hinaus ausdehnte: Er reichte bis ins Elsass, nach Tirol, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Eine besondere Rolle spielte Memmingen, wo die 12 Artikel verfasst wurden.
Diese Artikel gelten als die erste schriftlich fixierte Forderung nach Freiheitsrechten und wurden in hoher Auflage gedruckt. Bemerkenswert ist, dass sie nicht nur in der Region verbreitet wurden, sondern auch in Druckorten bis nach Sachsen, Danzig und andere Städte – ein regelrechter Flächenbrand.
Moderator:
Ingrid, du arbeitest normalerweise am Landesmuseum in Stuttgart.
Aber du erlebst sicher, dass der Bauernkrieg hier in Oberschwaben eine ganz besondere Bedeutung hat.
Warum, glaubst du, brennt dieses Thema auch nach 500 Jahren noch so stark in der Region?
Hoffmann:
Ich glaube, das liegt daran, dass das Wissen um den Bauernkrieg hier nie verloren gegangen ist.
Gerade in den letzten 50 Jahren wurde es aktiv bewahrt und weitergegeben. Viele Menschen aller Generationen haben hier schon einmal vom Bauernkrieg gehört – sei es durch Schulunterricht oder durch Stadt- und Dorffeste, bei denen historische Gruppen auftreten. Es gibt viele Vereine, die sich mit der Geschichte beschäftigen und sie lebendig halten. Wenn man hier durch Oberschwaben reist, spürt man, dass der Bauernkrieg Teil der regionalen Identität ist. Ich selbst erinnere mich nicht daran, dass ich in der Schule viel über den Bauernkrieg gelernt habe. Aber hier ist es einfach präsent – in der Erinnerung der Menschen, in Festen, in der Kultur.
Moderator:
Welche Rolle spielten Frauen im Bauernkrieg?
Hoffmann:
Die Frauen waren durchaus aktiv, aber es ist tatsächlich schwierig, sie in den Quellen eindeutig nachzuweisen. In den letzten Jahren haben Forschungen jedoch gezeigt, dass sie stärker beteiligt waren, als man lange angenommen hat. Zum einen gab es Frauen, die als Beraterinnen nachgewiesen sind. In unserer Ausstellung in Bad Schussenried zeigen wir zwei Frauen als zentrale Protagonistinnen. Eine davon ist Margarete Renner, über die es relativ viele Quellen gibt. Sie zog mit einem Bauernhaufen durchs Land, war bei Plünderungen dabei, hatte aber wohl eher eine beratende als eine kämpfende Funktion. Mittlerweile gibt es sogar Quellen, die belegen, dass Frauen direkt in den Kämpfen beteiligt waren. Zum Beispiel gab es in Nördlingen eine Frau, die als Fähnrich eines Haufens diente. Als die Bauern nach ihrer Niederlage ihre Waffen abgeben mussten, wurde vermerkt, dass auch Frauen ihre Waffen ablieferten. Das deutet darauf hin, dass sie nicht nur betroffen waren, sondern aktiv am Kampfgeschehen teilnahmen.
Und betroffen waren sie allemal: Wenn die Männer in die Haufen zogen, mussten die Frauen die gesamte Arbeit auf den Höfen übernehmen. Das hat niemanden unberührt gelassen.
Moderator:
Was können wir heute aus diesen sozialen Konflikten, die vor 500 Jahren stattfanden, für unsere Gegenwart lernen?
Hoffmann:
Einiges erscheint mir erschreckend aktuell. Was mich besonders an die heutige Zeit erinnert, ist die zunehmende Gewalt in der Sprache. Schon damals wurde die Rhetorik immer schärfer – besonders in den Veröffentlichungen der Reformatoren. Der Gegner wurde verteufelt, mit Tiergestalten gleichgesetzt oder auf andere Weise entmenschlicht. Das machte einen echten Dialog fast unmöglich. Man merkt das in den Quellen deutlich: Die Bauern fühlten sich nicht gehört, nicht respektiert. Ich denke, das ist eine Lehre für heute: Wir müssen das Gespräch suchen, eine andere Perspektive einnehmen und den anderen wirklich sehen. Das ist essenziell für ein friedliches Zusammenleben.
Moderator:
Respektvoller Umgang miteinander – ein Thema, das auch in unserer heutigen Gesellschaft wichtig ist. Jetzt haben wir schon einiges über die Zwölf Artikel gehört. Ich glaube, wir haben hier einen Originaldruck, der uns freundlicherweise vom Kreisarchiv Biberach und dem Verein Baltringer Haufen bereitgestellt wurde. Dieses Dokument wird auch in der großen Landesausstellung im Kloster Schussenried zu sehen sein. Kannst du unseren Hörerinnen und Hörern erklären, worum es sich bei den Zwölf Artikeln handelt und welche Bedeutung dieses Dokument für den Bauernkrieg hatte?
Hoffmann:
Die Zwölf Artikel sind zur Programmschrift des Bauernkriegs geworden. Sie basieren auf den vielen Beschwerdeschriften der Bauern aus Baltringen und Memmingen, die zusammengetragen wurden. In einer Zusammenkunft in Memmingen gelang es, diese Vielzahl von Forderungen auf zwölf zentrale Punkte zu reduzieren. Die Zahl zwölf ist natürlich kein Zufall – sie hat eine große biblische Symbolik, erinnert an die zwölf Apostel. Das Besondere war nicht nur ihr Inhalt, sondern auch ihre Verbreitung: Die Zwölf Artikel wurden gedruckt und in hoher Auflage veröffentlicht.
Das machte sie nicht nur in Oberschwaben, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt. Man findet Druckorte von Sachsen über Danzig bis in den gesamten Südwesten. Bauern aus verschiedensten Regionen konnten sich plötzlich auf ein gemeinsames Programm berufen.
Viele konnten damals nicht lesen – aber das war nicht entscheidend. Die Artikel wurden in Wirtshäusern ausgehängt, laut vorgelesen und in der Öffentlichkeit diskutiert. Es gab sogar Reisende, die solche neuen Schriften vortrugen. So wurden die Inhalte der Zwölf Artikel wirklich in die breite Bevölkerung getragen.
Moderator:
Wie haben solche Drucke das Bewusstsein und die Vernetzung der Aufständischen beeinflusst?
Hoffmann:
Sie gaben den Bauern eine gemeinsame Sprache für ihre Forderungen. Beschwerdeschriften gab es zwar schon lange, aber mit den Zwölf Artikeln wurden die Anliegen der Bauern kompakt auf den Punkt gebracht. Nun konnten sie mit einem klaren, einheitlichen Dokument an ihre Herren herantreten – das war revolutionär. Zudem zeigte es: Wir sind nicht nur ein einzelnes Dorf, sondern eine große Bewegung. Das machte den Aufstand noch bedrohlicher für die Obrigkeit – und tatsächlich hatten die Herren große Angst vor dieser neuen, vernetzten Form des Widerstands.
Moderator:
Wenn du einen Gedanken aus deiner Arbeit an der Ausstellung mitgeben könntest:
Was sollten wir uns im 21. Jahrhundert unbedingt aus dem 16. Jahrhundert abschauen – oder wovor sollten wir uns unbedingt hüten?
Hoffmann:
Wir sollten uns davor hüten, den anderen nicht mehr zu sehen. Wir müssen darauf achten, Respekt für unser Gegenüber zu bewahren. Oft nehmen wir nur unsere eigene Sichtweise wahr, ohne uns in den anderen hineinzuversetzen. Wir sollten den Dialog suchen, auch wenn wir unterschiedliche Ansichten haben. In den historischen Quellen zeigt sich immer wieder:
Viele Konflikte eskalierten, weil die Menschen nicht mehr miteinander sprachen oder aneinander vorbeiredeten. Heute haben wir die Möglichkeit, es anders zu machen – und das sollten wir auch nutzen.
Moderator:
Ingrid, vielen, vielen Dank!
Hoffmann:
Sehr gerne.
Off-Stimme:
Vielen Dank, dass Sie uns auf dieser Zeitreise begleitet haben. Ob in Archiven, Museen oder an den historischen Schauplätzen, der Bauernkrieg lässt uns auch fünfhundert Jahre später nicht los. Wenn Sie noch mehr erfahren möchten, schauen Sie in die Shownotes. Dort finden Sie Termine, Ausstellungen und Tipps für Ihre eigene Entdeckungsreise. Bis zum nächsten Podkäschtle. Bleiben Sie inspiriert.